Buxtehude, den 07.11.2017: Die mageren Risikokostenerstattungen, wie sie von der Rechtsprechung bisher hervorgebracht wurden und von den Instituten weitgehend benutzt werden, halten einer Validierung unter den aufsichtsrechtlichen Vorschriften der Risikovorsorge und -abpufferung nicht stand. Insbesondere im Bereich des grundpfandrechtlich besicherten Unternehmenskredits deuten bereits die hohen Aufschläge auf die marktüblichen Darlehenszinssätze, die bei Kreditgewährung angefordert werden, darauf hin, dass hier andere Risikoerwägungen gelten.
In der Europäischen Union gelten schon seit Jahren spezifische Eigenkapitalanforderungen an Kreditinstitute und Wertpapierfirmen, gemeinhin bekannt als Capital Requirements Regulation. Die Baseler Finanzmarktvorschriften verlangen, dass sich die in der EU tätigen Banken nicht nur gegen die mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu erwartenden typischen Rückzahlungsrisiken absichern, sondern ebenso gegen eine unwahrscheinliche Anhäufung der Verwirklichung gleichartiger Risiken.
Ein Beispiel hilft zur Erläuterung des Zusammenhangs. Wer sich über drei Jahre, also 36 Monate, hinweg verpflichtet, einen Betrag von monatlich 2.000 EUR in ein Münzspiel zu investieren, unter dem bei „Zahl“ ein Gewinn von 5.000 EUR winkt und bei „Kopf“ keine Auszahlung erfolgt, kann nicht darauf vertrauen, dass er am Ende reich ist. Der Gewinnerwartungswert E(G) dieses Spiels beläuft sich zwar auf:
E(G) = 36 * [0,5 * (5.000 EUR – 2.000 EUR) + 0,5 * (0 EUR – 2.000 EUR)] = 18.000 EUR
Doch ungünstige Ergebnisse können dem Spieler das Leben schwer machen. Verfügt er über ein Eigenkapital von 12.000 EUR, so ist dieses aufgebraucht, wenn in den drei Jahren, also 36 Spielen, zwölfmal „Zahl“ (Ereignis: X=12) erscheint und 24mal „Kopf“. Dann gewinnt der Spieler 60.000 EUR und verliert 72.000 EUR. Die Wahrscheinlichkeit W für dieses Ereignis beläuft sich nach der Binomialverteilung auf:
W(X=12) = (3612) * 0,512 * 0,524 = 0,01821 = 1,821%.
Die Wahrscheinlichkeit einer echten Insolvenz unter solchen Spielergebnissen, bei denen überhaupt kein Gewinn, nur ein Gewinn, maximal allenfalls elf Gewinne resultieren, beläuft sich auf: 1,441%. Mit dieser Wahrscheinlichkeit droht der Insolvenzfall, obwohl das Spiel eigentlich durch eine überwiegende Gewinnchance geprägt, also profitabel ist.
Institute sind verpflichtet, Darlehensengagements mit so viel Eigenkapital zu unterlegen, dass der Insolvenzfall mit einer Wahrscheinlichkeit von 99,9% ausgeschlossen ist, also nur einmal in 1.000 Jahren zu befürchten ist (vgl. Deutsche Bundesbank, Monatsbericht April 2004: „Die Eigenkapitalunterlegung für unerwartete Verluste“, 75-100, 95).
Breuer/Kreuz (ZBB 2009, 46, 48) befassen sich in ihrem Aufsatz „Transparente Bewertungsansätze für Risikokosten in Vorfälligkeitsentschädigungen“ mit dem Aktiv-Passiv-Vergleich. Sie identifizieren mindestens zwei Komponenten ersparter Risikokosten bei vorzeitiger Ablösung:
- Ersparte Standardrisikokosten: Standardrisikokosten decken die erwarteten Zahlungsausfälle der Darlehensgeberin ab. Dabei sollen jene Risiken umfasst sein, die sich als typische Risiken für eine Vielzahl ähnlicher Darlehensnehmer bei dem Einen einstellen, bei den Anderen dagegen ausbleiben.
- Kostenersparnisse aus Eigenkapitalentlastung: Die zeitgleiche Anhäufung der Realisation ungünstiger Ereignisse, also sog. unerwarteter Verluste, kann ein Institut in Liquiditätsschwierigkeiten bringen und eine Insolvenzgefahr heraufbeschwören. Der zur Vermeidung derartiger Risikoeintritte vorzuhaltende Eigenkapitalpuffer wird mit der vorzeitigen Rückzahlung von Darlehen wieder frei.
Als Standardrisikoprämie gilt ein Aufschlag auf den Darlehenssollzinssatz bei Vertragsabschluss. Dieser Aufschlag soll ein finanzielles Polster anhäufen, aus dem im Fall eines nach dem „Gesetz der großen Zahlen“ stets mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit zu erwartenden (teilweisen) Darlehensausfalls, eine Schadenskompensation für sog. „expected losses (EL)“ erfolgen kann. Mit jeder Rückzahlung eines Darlehens einher geht die Möglichkeit, die entsprechenden Rückstellungen aufzulösen, weil sich das Gesamtdarlehensportfolio dabei insgesamt verkleinert.
Der BGH hatte in seiner Rechtsprechung regelmäßig betont, dass die entsprechenden Risikokostenersparnisse bei Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung in Abzug zu bringen sind (BGH XI ZR 267/96 = NJW 1997, 2875; BGH XI ZR 27/00 = WM 2001, 20).
Dabei ist es unerheblich, ob eine Darlehensgeberin derartige Rückstellungen tatsächlich gebildet hatte. Hatte sie diese Rückstellungen angehäuft, so werden diese Rückstellungen für die Zukunft nicht mehr erforderlich sein. Das stellt für sich schon eine zusätzliche Ersparnis aus der vorzeitigen Darlehensrückzahlung dar, die zurück zu vergüten ist. Der ursprünglich risikobehaftete Darlehenssollzinssatz wandelt sich in einen risikolosen Zinssatz für die Zukunft.
Hatte sie dagegen derartige Rücklagen nicht vorgesehen, so entfällt mit der vorzeitigen Darlehenstilgung das Darlehensausfallrisiko. Sie tauscht somit ein risikobehaftetes Darlehensgeschäft gegen ein sicheres Pfandbriefgeschäft.
Folgt man den Ergebnissen der von der Deutschen Bundesbank veröffentlichten Studie QIS 5: „Ergebnisse der fünften Auswirkungsstudie zu Basel II in Deutschland“, Juni 2006, Tabelle 6 auf S. 20 (nachfolgend abgebildet), so beläuft sich die Kreditausfallwahrscheinlichkeit (PD = „Probability of Default“) für grundpfandrechtlich besicherte Darlehen bei international agierenden Banken mit einer Bilanzsumme von mehr als 3 Mrd. EUR (Gruppe 1) auf einen Satz von 1,42% jährlich. Bei dem Wert handelt es sich um einen Durchschnitt, gerechnet über das gesamte Hypothekendarlehensgeschäft. Zu dieser Ausfallwahrscheinlichkeit korrespondiert ein Verlust, gegeben das Ausfallrisiko tritt ein (LGD = „loss given default“), von 26% des ursprünglichen Darlehensvolumens, wie sich auch der Tabelle entnehmen lässt. Für die übrigen Kreditinstitute (Gruppe 2) gilt dagegen im Durchschnitt eine Ausfallwahrscheinlichkeit von 0,92% bei einer Verlustquote von 27%.
Damit ergibt sich die nachfolgende Berechnung für den Standardrisikokostenaufschlag (STRA):
Gruppe 1: STRA = PD * LGD = 1,42% * 0,26 = 0,3692%
Gruppe 2: STRA = PD * LGD = 0,92% * 0,27 = 0,2484%
Der Aufschlag bezieht sich auf den Durchschnitt aller banklichen Hypothekendarlehensengagements. Im Einzelfall ist dieser Aufschlag beim spezifischen Hypothekendarlehen je nach der persönlichen Bonität des Kreditnehmers, seiner Kapitaldienstfähigkeit sowie dem Beleihungsgrad der Immobilie größer oder kleiner.
Vergleicht man diese Ergebnisse mit den Vorfälligkeitsentschädigungsberechnungen der Bankenwelt, so fällt auf, dass die Abschläge für ersparte Risikokosten dort weitaus geringer ausfallen. Selbst für Darlehen mit hohem Beleihungsauslauf werden nur selten Risikoersparnissätze oberhalb von 0,15 Prozentpunkten angesetzt. Im Regelfall bewegen sich diese zwischen 0,05 und 0,10 Prozentpunkten. Das kann nicht stimmen.
Doch die oben genannten Aufschläge stehen nur für einen Teil der Risikokosten, den Standardrisikoaufschlag.
Auf der anderen Seite ist auch jedes Institut verpflichtet, sich gegen unerwartete Insolvenzgefahren durch die Einbringung von Eigenkapital abzusichern. Das verordnen die Baseler Vorschriften. Eine Bank hat sich mit einer Wahrscheinlichkeit von 99,9% gegen das eigene Insolvenzrisiko abzusichern. Sie kann das dadurch erreichen, dass sie einzelnen Geschäften so viel Eigenkapital unterlegt, dass sich im Verlustfall zwar das Eigenkapital verringert, das Institut jedoch solvent bleibt.
Bezogen auf das oben vorgestellte Beispiel ist die Insolvenzgefahr mit einem Eigenkapitaleinsatz von 72.000 EUR selbstverständlich ausgeschlossen, denn der Spieleinsatz liegt über drei Jahre bei genau diesem Betrag. Stellen wir uns vor, die Beteiligung an dem sich wiederholenden Spiel, setze nach den Teilnahmebedingungen voraus, dass ebenfalls mit 99,9%-iger Wahrscheinlichkeit eine Insolvenz des Spielers ausgeschlossen ist. Entsprechend der Binomialverteilung sänke die Wahrscheinlichkeit unter eine Schwelle von 0,1%, wenn die Anzahl der erfolgreichen Spielverläufe maximal acht betrüge:
Somit hätte sich der Spieler höchstens gegen 27 ungünstige Verläufe unter 36 Versuchen abzusichern, aber nicht mehr gegen 28 oder noch mehr ungünstige Verläufe. Bei 27 ungünstigen Verläufen verbleiben neun günstige Verläufe, die einen Spielgewinn von 45.000 EUR bei einem Spieleinsatz von 72.000 EUR nach sich ziehen. Der Verlust beträgt 27.000 EUR und wäre in Form von Eigenkapital vorzuhalten.
Die erwartete Spielrendite wäre bei einem dauerhaften Kapitaleinsatz von 27.000 EUR und einer Gewinnerwartung von 18.000 EUR gerechnet über drei Jahre: 66,7%, auf Jahresbasis 18,56%. Mit einem Vermögen ausgestattet von 270.000 EUR könnte sich der Spieler an höchstens zehn solcher gleichartigen Spiele beteiligen. Kommt eine dieser Spielteilnahmen aus einem vom Spielanbieter zu vertretenden Grund nicht zustande, so wird das Eigenkapital des Spielers wieder frei und er kann sich an einem anderen gleichartigen Spiel bei einem anderen Anbieter beteiligen. Ein Schaden entstünde ihm nur, wenn der Gewinnerwartungswert beim anderen Anbieter geringer ausfiele. Dann könnte er den ehemaligen Anbieter auf den Ersatz des eingetretenen Renditeschadens in Anspruch nehmen.
Die Analogie ist offensichtlich. Das einer Darlehensgewährung neben der aufgenommenen Refinanzierung beigefügte Eigenkapital der Bank stellt den Spieleinsatz dar. Ihr Gewinn besteht im vertragsgemäßen Verlauf des Darlehens, ihr Verlust in den teilweise oder ganz ausfallenden Zahlungen des Kunden. Die Verlustwahrscheinlichkeit beträgt jährlich, je nachdem welcher Bankentyp vorliegt, 0,92 oder 1,42%. Wird ein Darlehensgeschäft von einem Kunden bspw. aufgrund des Verkaufs der Immobilie vorzeitig beendet, so wird das Eigenkapital der Darlehensgeberin wieder frei und sie kann es einem anderen Geschäft zuführen. Trägt dieses eine geringere Rendite, so schuldet der Kunde den Renditeunterschied.
In den Baseler Vorschriften enthalten ist eine komplizierte statistische Formel, die den Umfang der erforderlichen zusätzlichen Eigenkapitalunterlegung gegen unerwartete Verluste postuliert. Sie geht von einer typischen Eigenkapitalunterlegung von 8% aus, multipliziert diese aber mit dem entsprechenden Risikogewicht, das typischerweise unterhalb von 1 liegt. Hat ein Institut somit bspw. 4% an zusätzlichem Eigenkapital gegen das Insolvenzrisiko in das Darlehensgeschäft einzubringen, so entgeht der Darlehensgeberin die Eigenkapitalrendite in dieser Höhe. Unter einer typischen jährlichen Eigenkapitalrendite von 10%, resultieren somit zusätzliche Risikokosten von 0,4% jährlich.
Bei einem Darlehen über 10 Mio. EUR wären somit 400 Tsd. EUR an zusätzlichem Eigenkapital zu unterlegen, das sich nicht mehr außerhalb des Darlehens verzinsen kann. Es entgeht daher ein Zinsertrag von 40.000 EUR, bezogen auf das Darlehensvolumen somit 0,4%. Dieses Eigenkapital wird mit der Rückzahlung wieder frei und kann den Zinsertrag von 40.000 EUR wieder erzielen.
Zusammen mit den Standardrisikokosten würden sich beim vorgestellten Darlehen somit Risikokostenersparnisse von ca. 0,65 bis 0,77% jährlich ergeben. Insoweit vermögen die bisher bankenseitig angestellten Berechnungen zur Risikoersparnis nicht zu überzeugen.
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Prof. Dr. Klaus Wehrt ist finanzmathematischer Experte für alle Fragen der Immobilienfinanzierung, insbesondere der Überprüfung von Vorfälligkeitsentschädigung, Professor für Volkswirtschaftslehre und Statistik, Buxtehude-Immenbeck.