Der Konditionenwettbewerb zwischen den Darlehensanbietern hat seit der Jahrtausendwende enorm zugenommen. Zeitlich parallel dazu hat sich, begünstigt durch das Internet, eine neue Kultur entwickelt. Darlehen werden immer seltener direkt bei den Banken, sondern immer häufiger über anbieterunabhängige Internetplattformen angebahnt. Auf diesen Plattformen gibt sich eine muntere Vielzahl von darlehensgewährenden Instituten ein munteres Stelldichein.
Offensichtlich achten die Betreiber der Plattformen sehr darauf, dass die banklichen Angebote konkurrenzfähig sind. Wie ist es anders zu erklären, dass der Abstand zwischen den zehnjährigen Hypothekenpfandbriefverzinsungen auf der einen Seite und den zehnjährigen Immobiliendarlehen auf der anderen Seite innerhalb der letzten 15 Jahre von mehr als 1 Prozentpunkt auf nur noch ca. 0,7 Prozentpunkte eingeschmolzen wurde? Wurden früher Zinsbindungsfristen von mehr als zehn Jahren rigoros abgelehnt, weil die Darlehensnehmer ihre Verträge nach zehn Jahren einseitig entschädigungsfrei kündigen können, so sind Zinsbindungsfristen von 15, sogar 20 Jahren heute gang und gäbe. Und auch Sondertilgungen von bis zu 10% des Darlehenskapitals jährlich stellen eher den Regelfall als die Ausnahme dar. Viele Finanzierer gestatten es ihren Kunden sogar, den Tilgungssatz des Darlehens mehrmals während der Zinsbindungsfrist neu festzusetzen.
All diese kundenfreundlichen neuen Arrangements sind sehr zu begrüßen. Doch wie verhält es sich mit diesen Arrangements, wenn die Darlehen vorzeitig beendet werden? Werden diese spezifischen Gestaltungen auch bei der Vorfälligkeitsentschädigungsberechnung ausreichend beachtet?
Seitdem die Zentralbanken seit September 2008 die Märkte weltweit mit Liquidität überschütteten, sind die kurzfristigen Geldmarktsätze geradezu eingebrochen, denn die Kreditinstitute wissen mit dieser umfangreichen Liquidität nichts anzufangen. Die Zinsstrukturkurve kann sich in ihrer Steilheit deshalb durchaus mit der Eiger-Nordwand messen. Kurzfristige Geldmarktsätze notieren unterhalb von 1%, langfristige Hypothekenzinssätze dagegen oberhalb von 4%.
Für vorzeitig zurückgeführte Darlehen kann dieser Spread geradezu abenteuerliche Auswirkungen entfalten. Typischerweise berechnen die Institute die Vorfälligkeitsentschädigung im Vergleich zu einer heute möglichen Wiederanlage in Hypothekenpfandbriefen. Wurde das fünfjährige Darlehen vor zwei Jahren zu 5% abgeschlossen, so überbrückt die aktuelle Vorfälligkeitsentschädigung bei einem dreijährigen Wiederanlagezinssatz von nur 2% einen Zinsabstand von 3% jährlich, insgesamt somit 9% des Darlehenskapitals. Auf ein Darlehenskapital von 200.000 EUR kann somit im Extremfall eine Vorfälligkeitsentschädigung von 18.000 EUR entstehen.
Dabei haben sich die Fünfjahreskonditionen in derselben Zeit nur geringfügig ermäßigt. Die Banken können das vorzeitig zurückgeführte Kapital, ebenfalls mit fünfjähriger Zinsbindung ausgestattet, somit fast zu gleichen Konditionen wieder in den Markt geben.
Umso wichtiger ist es, die Vorfälligkeitsentschädigungsberechnungen der Banken genau unter die Lupe zu nehmen. Das aber ist heute nicht mehr so einfach, wie es früher einmal war. Damals gab es weitgehend standardisierte Vertragswerke. Heute weisen die Darlehensverträge dagegen eine hohe individuelle Qualität auf. Die vielen im Internet verfügbaren teils kostenfreien Vorfälligkeitsrechner konzentrieren sich allesamt auf die Entschädigungskalkulation für den sog. Standardfall. Der kostenbewusste Internetnutzer wähnt sich durch die Benutzung solcher Vorfälligkeitsrechner auf der sicheren Seite gegenüber seiner Bank.
Doch dabei übersieht er viele Aspekte. Vorfälligkeitsrechner überprüfen die Vorfälligkeitsentschädigung nur darauf hin, ob die nach den einschlägigen BGH-Urteilen geltenden Entschädigungsobergrenzen beachtet wurden. Viele dieser Rechner beachten dabei noch nicht einmal die einschlägigen Vorgaben, die der Bundesgerichtshof für derartige Fälle gemacht hat. Die Folge ist, dass der Vorfälligkeitsrechner bisweilen keinen Erstattungsanspruch erkennt, obwohl einer besteht, oder dass er umgekehrt einen Anspruch zu erkennen glaubt, der tatsächlich gar nicht gegeben ist. Möglicherweise stürzt sich der Nutzer so in einen überflüssigen Prozess gegen seine Bank.
Und was ist mit den kundenfreundlichen neuartigen Arrangements in den Verträgen? Sie können sich auch bei der Kalkulation der Zinsentschädigung zum Kundenvorteil auswirken. Deshalb ersetzt eine Obergrenzenprüfung nach den BGH-Urteilen keine Prüfung der einzelnen vertraglichen Klauseln. So kann eine Pflicht bestehen, Sondertilgungen bei den Entschädigungsberechnungen zu berücksichtigen. Die mehrmalige Anpassungsmöglichkeit in Bezug auf den Tilgungssatz kann der Kunde möglicherweise dazu nutzen, die Vorfälligkeitsentschädigung zu verkürzen. Schließlich kann der Fall eintreten, dass der Zeitraum, über den die Vorfälligkeitsentschädigung berechnet werden darf, weitaus kürzer ist als die verbleibende Zinsbindungsfrist. Mit der Individualisierung der Vertragsinhalte wird heute ein breiter Fächer aufgespannt, die Zinsentschädigung zu verringern. Das aber erfordert eine hohe Kompetenz in Bezug auf die Auswertung der Vertragsinhalte.
Viele Banken vertrauen auf ihre kostenbewusste Kundschaft, legen ihnen Abrechnungen vor, die in ähnlicher Form den Ergebnissen der Vorfälligkeitsrechner bei einer Obergrenzenprüfung im Internet entsprechen und fordern gemessen an den Vertragsinhalten weit überhöhte Vorfälligkeitsentschädigungen von ihren Kunden.
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Prof. Dr. Klaus Wehrt
Prof. Dr. Klaus Wehrt ist finanzmathematischer Experte für alle Fragen der Immobilienfinanzierung, insbesondere der Überprüfung von Vorfälligkeitsentschädigung, Professor für Volkswirtschaftslehre und Statistik, Buxtehude-Immenbeck.