Überprüfung von gutachterlichen Beleihungswertermittlungen

Am 8. Oktober 2022 trat eine neue Beleihungswertermittlungsverordnung (BelWertV) in Kraft.

Die Bedeutung des Beleihungswertes

Die Kreditvergabe von Banken und Sparkassen erfolgt im Regelfall nicht ohne die Überprüfung der Werthaltigkeit der zu beleihenden Immobilie. Zudem verlangen die Regularien auf europäischer Ebene eine periodische Aktualisierung ehemaliger Immobilienbewertungen.

Weniger beachtet wird der mögliche Rückgriff auf den seinerzeit ermittelten Beleihungswert für die Fälle vorzeitiger Darlehensrückzahlungen. Unter Verwendung des Beleihungswertes preist die Kreditgeberin den entsprechenden Risikoaufschlag für das zu gewährende Darlehen ein. Folgt man der geltenden BGHRechtsprechung zur Vorfälligkeits- und Nichtabnahmeentschädigung, so hat das Geldhaus auf der anderen Seite genau diesen Risikoaufschlag dem Kunden bei der vorzeitigen Kreditablösung in Form eines Abschlags auf die Zinsentschädigung wieder gutzubringen.

Die gesetzlichen Grundlagen

Das Pfandbriefgesetz (PfandBG) definiert in § 14 die sog. Beleihungsgrenze. Danach dürfen für die Deckung herausgegebener Pfandbriefe Hypotheken nur bis zur Grenze der ersten 60 % des Grundstückswertes herangezogen werden. Den insoweit relevanten Grundstückswert definiert § 14 PfandBG als Beleihungswert, der nach § 16 PfandBG festzustellen sei.

§ 16 Abs. 2 PfandBG bestimmt:

„Der Beleihungswert darf den Wert nicht überschreiten, der sich im Rahmen einer vorsichtigen Bewertung der zukünftigen Verkäuflichkeit einer Immobilie und unter Berücksichtigung der langfristigen, nachhaltigen Merkmale des Objektes, der normalen regionalen Marktgegebenheiten sowie der derzeitigen und möglichen anderweitigen Nutzungen ergibt. Spekulative Elemente dürfen dabei nicht berücksichtigt werden.“

Ebenfalls ist dort geregelt, dass ein Beleihungswert den Marktwert, auch genannt: Verkehrswert, keinesfalls übersteigen darf.

Mit der Beleihungswertermittlungsverordnung (§ 3 Abs. 1 BelWertV) hat der Gesetzgeber im Detail verfügt, wie ein Beleihungswert zu kalkulieren ist: Der Beleihungswert ist jener Wert der zu beurteilenden Immobilie,

„der erfahrungsgemäß unabhängig von vorübergehenden, etwa konjunkturell bedingten Wertschwankungen am maßgeblichen Grundstücksmarkt und unter Ausschaltung von spekulativen Elementen während der gesamten Dauer der Beleihung bei einer Veräußerung voraussichtlich erzielt werden kann“.

Offensichtlich erachtete der Gesetzgeber die bislang geltende Konkretisierung der Normen als nicht ausreichend, denn § 3 Abs. 2 BelWertV wurde um zwei Sätze ergänzt:

„Die Feststellung nachhaltiger Merkmale des Objekts und deren Einflussgrößen auf die Bewertung bedarf dabei einer langfristigen Betrachtung der Marktgegebenheiten. Der betrachtete Zeitraum ist zu benennen und seine Angemessenheit nachvollziehbar darzulegen.“

Auf der Ebene der Europäischen Union wurden die nationalen Bestimmungen einengende weitere Vorschriften erlassen, so insbesondere die Kapitaladäquanz-Richtlinie (CRD) sowie die zugehörige Kapitaladäquanz-Verordnung (CRR). Streng sind insbesondere die Anforderungen an die regelmäßige Überprüfung des Immobilienwertes. Nach Art. 208 Abs. 3 lit. a CRD sind die Kreditinstitute dazu verpflichtet, „den Wert der Immobilie häufig, mindestens jedoch einmal jährlich bei Gewerbeimmobilien und alle drei Jahre bei Wohnimmobilien“, zu überprüfen. Dazu ist ein „unabhängiger Sachverständiger“ beizuziehen, der seine Bewertung „transparent und klar zu dokumentieren“ hat (Art. 229 Abs. 1 CRD).

Als „vollständig besichert“ gilt eine Wohnimmobilie, wenn der Beleihungsgrad nicht mehr als 80% beträgt (Art. 125 Abs. 2 lit. d CRD). Für so vollständig besicherte Wohngebäude gilt ein Risikogewicht von 35% (Art. 125 Abs. 1 lit. a CRD). Unter einer typischen Eigenmittelunterlegungsquote von 10,5% - i.e. Risikogewicht von 1 – sind somit 3,675% an Eigenmitteln für die Kreditherausgabe einzusetzen. Für Gewerbeimmobilien gelten dagegen strengere Anforderungen. Vollständig besicherte Büro oder sonstige Gewerbeimmobilien erhalten ein Risikogewicht von 50% (Art. 126 Abs. 1 lit. a CRD). Die Eigenkapitalunterlegungspflicht beläuft sich daher auf 5,25%.

Diese Bindung von Eigenmitteln verhindert, dass Institute jederzeit dazu in der Lage sind, weitere an sie herangetragene Kreditwünsche zu erfüllen. Zudem bedeutet die Bindung, dass riskantere Engagement einer größeren Eigenkapitalunterlegung bedürfen. Eine Verdoppelung der Eigenmittelunterlegung halbiert den Umfang der insgesamt ausleihbaren Kredite, weshalb die Banken für riskante Engagements ganz erhebliche Risikoaufschläge vornehmen, die sie bei einer vorzeitigen Ablösung wieder zu erstatten haben.

Nicht selten lassen sich fehlerhafte Beleihungswertermittlungen feststellen.

Fehlerquelle 1: Der Kalkulationszins

Nach der Überarbeitung der Beleihungswertermittlungsverordnung finden sich die größten Veränderungen in § 12 BelWertV. Er bestimmt die Art der Kapitalisierung der Reinerträge. Der Kapitalisierungszins soll sich aus der Addition der Rendite eines langfristigen Bundeswertpapieres sowie eines Aufschlags von drei (wohnwirtschaftliche Nutzung) bzw. vier Prozentpunkten (gewerbliche Nutzung) berechnen. Erstmalig stützt sich somit die Wertermittlung auf statistisch ausgewiesene Renditen der Deutschen Bundesbank.

Die zur Feststellung dieser Renditen beauftragte Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) setzte im Oktober des letzten Jahres die Mindestkapitalisierungssätze für wohnwirtschaftliche Nutzungen auf 5,1%, für gewerbliche Nutzungen auf 6,1% fest. Dabei bezog sie sich offenbar auf die zuletzt von der Deutschen Bundesbank festgestellte Rendite dreißigjähriger Bundeswertpapiere von 2,1%. Noch vor einem Jahr trug diese Bundeswertpapierreihe negative Renditen. Offensichtlich ist die Veränderung der Mindestkapitalisierungssätze ein Stück weit inflationsgetrieben.

Mit der Überarbeitung der Beleihungswertermittlungsverordnung hat der Gesetzgeber somit klargemacht, dass die Kalkulation nicht auf inflationsbereinigten realen Größen basieren soll, sondern auf sog. nominalen Größen. Inflationseinflüsse sind somit auf die zu beurteilenden Größen nicht herauszurechnen, sondern sind fester Bestandteil der Wertermittlung.

Nicht recht dazu passen will allerdings das beibehaltene Konzept des Vervielfältigers. Vervielfältiger unterstellen einen von Periode zu Periode – und das über die gesamte wirtschaftliche Lebensdauer – konstanten Reinertrag, geprägt von der Differenz aus Rohertrag und Bewirtschaftungskosten.

Wenn aber der Kalkulationszinsfuß – die Größe im Nenner des Vervielfältigers – künftig auch von 30jährigen Inflationserwartungen mit geprägt wird, so muss dies ebenfalls für den Zähler gelten, denn auch der für die nächsten 30 Jahre zu erwartende Reinertrag unterliegt den Inflationserwartungen. Darauf wurde aber offensichtlich bei der Überarbeitung der Wertermittlungsverordnung nicht abgestellt.

Fehlerquelle 2: Gutachterliche Ausschlüsse

Anerkanntermaßen kann ein Immobiliensachverständiger nicht alle die Nutzung eines Gebäudes gefährdenden Risiken im Beleihungswertgutachten abbilden. Viele Gutachten enthalten deshalb Risikoausschlüsse in Bezug auf solche Risiken, deren Eintrittswahrscheinlichkeit gering ist. Das ist unbedenklich, sofern auch die damit einhergehende erwartete Schadenshöhe vernachlässigbar ist. Bedenklich wird es jedoch, wenn ein kleines Schadensrisiko mit einem hohen Schadenserwartungswert korrespondiert. So mag die Wahrscheinlichkeit eines Hangrutsches für ein Berggrundstück äußerst gering sein, er würde jedoch zu einem wirtschaftlichen Totalschaden führen.

Berücksichtigen könnte man diesen Aspekt bei der Ermittlung der wirtschaftlichen Nutzungsdauer. Unter einer Nutzungsdauer von 30 Jahren und der Gefahr eines Hangrutsches bezogen auf einen Fünfzehnjahreszeitraum von 5% ergäben sich drei statistische Szenarien:

  1. Kein Hangrutsch in 30 Jahren.
  2. Hangrutsch zwischen Jahr 16 und 30.
  3. Hangrutsch zwischen Jahr 0 und 15.

Das Risiko für Szenario c) ist 5%. Szenario b) kann nur eintreten, wenn c) nicht eingetreten ist, trägt also die Wahrscheinlichkeit W(b):

W(b) = 0,95 * 0,05 = 0,0475 = 4,75%

Für W(a) gilt entsprechend:

W(a) = 0,95 * 0,95 = 90,25%,

Probe: Die Wahrscheinlichkeiten addieren sich zu 100%.

Die erwartete Nutzungsdauer N der Immobilie entspricht deshalb der Summe der Wahrscheinlichkeitsprodukte:

N = 0,9025 * 30 Jahre + 0,0475 * 22,5 Jahre+ 0,05 * 7,5 Jahre = 28,52 Jahre.

Der Sachverständige sollte sich also stets fragen, ob es nicht eine Möglichkeit gibt, Ereignisse mit geringer Eintrittswahrscheinlichkeit, aber einem hohen Schadenspotential über die wahrscheinlichkeitstheoretische Überprüfung der erwarteten wirtschaftlichen Nutzungsdauer in seine Betrachtung einzubeziehen. Insoweit zu erfassen sind allerdings nur nicht versicherte oder nichtversicherbare Risiken wie Sturmflutgefahren in Norddeutschland, dauerhafte Absenkung von Gebäuden, versteckte Bauschäden, welche die Nutzung für die Zukunft ausschließen, die Möglichkeit nicht beseitigbarer Gesundheitsgefahren.

Allerdings erweist sich das oben dargestellte Verfahren nur als eine näherungsweise richtige Lösung. Der gekrümmte Verlauf der Vervielfältigerfunktion bedingt, dass der Vervielfältiger der wahrscheinlichkeitsgewichteten Nutzungsdauern stets größer ist als der Vervielfältiger, wahrscheinlichkeitsgewichtet kalkuliert entsprechend den einzelnen Vervielfältigern zu den verschiedenen Nutzungsdauern.

Dass ein Sachverständiger im Rahmen seiner gutachterlichen Tätigkeiten Annahmen trifft und dabei möglicherweise wertbeeinflussende Umstände aus seiner Bewertung ausblendet, ergibt sich häufig aus dem wirtschaftlichen Erfordernis, die Expertise zu einem angemessenen Preis herzustellen. Das darf aber nicht dazu führen, dass die oben aufgeführten Risiken komplett ausgeblendet und sodann mit null angesetzt werden.

Fehlerquelle 3: Erträge und Kosten

Die Ertragsseite einer Immobilie wird durch den periodischen Rohertrag erfasst (§ 10), die Kostenseite durch die Bewirtschaftungskosten (§ 11). Während sich der Rohertrag aus den regelmäßigen Mieteinnahmen speist, untergliedern sich die Bewirtschaftungskosten wie folgt:

  1. Verwaltungskosten (§ 11 Abs. 3),
  2. Instandhaltungskosten (§ 11 Abs. 4),
  3. Mietausfallwagnis (§ 11 Abs. 5),
  4. ungedeckte Betriebskosten (§ 11 Abs. 6),
  5. Modernisierungskosten. (§ 11 Abs. 7)

Ein eher selten zu beobachtender Fehler bietet sich schon dar, wenn die steuerfreien oder umsatzsteuerbereinigten Nettokaltmieten mit Kostenkomponenten saldiert werden, die teilweise noch Umsatzsteueraufschläge enthalten. Ein derartiger Fehler mindert den Reinertrag und damit den Beleihungswert des Gebäudes.

Mit der Neufassung der Beleihungswertermittlungsverordnung hat sich eine Änderung in Bezug auf die Ermittlung des periodischen Rohertrags für gastronomische Betriebe, Kinos und vergleichbaren Freizeitobjekte insoweit ergeben, dass nunmehr die Roherträge direkt pro Sitzplatz anzugeben sind (§ 10 Abs. 3).

Bedeutsamere Änderungen hält dagegen § 11 bereit. Hatten sich bislang die Ansätze für die Bewirtschaftungskosten für die einzelnen Kostenkategorien innerhalb der Bandbreiten der in Anlage 1 (alte Fassung) angegebenen Intervalle zu bewegen, so gelten nach der neuen Anlage 1 Mindestkostensätze für die Einzelkategorien der Bewirtschaftung. Weiterhin gilt überdies ein die Komponenten umfassender Mindestabschlag von 15% vom Rohertrag.

Stellt ein Sachverständiger in seiner Expertise fest, dass der bauliche Zustand der zu beurteilenden Immobilie aufgrund vernachlässigter Instandhaltungsinvestitionen nur mäßig ist, legt gleichzeitig aber nur den Mindest-Instandhaltungskostensatz von 0,5% zugrunde, so dürfte diese Feststellung fehlerhaft sein.

Die oben angeführte Anlage 1 geht für Wohngebäude von einem Mindestmietausfallwagnis von 2% aus. Beschreibt der Gutachter eine Wohnlage, gekennzeichnet durch hohe Mieterfluktuation, so darf er nicht von einem Leerstandsrisiko von nur 2% ausgehen. Ein struktureller Leerstand wegen Unvermietbarkeit darf nicht als Mietausfallwagnis berücksichtig werden, sondern ist bereits bei den Roherträgen zu erfassen, indem die Wohnräume mit einer Nettokaltmiete von 0,00 EUR/m² bewertet werden. Bewirtschaftungskosten sind auch für diese Wohneinheiten gleichwohl anzusetzen.

Fußnoten

  1. Ein Überblick findet sich bei Wehrt, ZfIR 2021, 570, 571f. Die BGH-Urteile im Einzelnen: Nichtabnahmeurteil vom 12. 03.1991: BGH XI ZR 190/90 (= NJW 1991, 1817); Grundsatzurteil zur Vorfälligkeitsentschädigung vom 01.07.1997: BGH XI ZR 267/96 (= ZfIR 1997, 596); Grundsatzurteil zur Berechnung von Zinsentschädigungen vom 07.11.2000: BGH XI ZR 27/00 (= ZfIR 2001, 115); Berücksichtigung von Sondertilgungen vom 19.01.2016: BGH XI ZR 388/14 (= NJW 2016, 1382); Vorfälligkeitsentschädigung bei Verzug vo
  2. Vgl. Wehrt WM 2018, 1158; Wehrt ZfIR 2021, 570.
  3. Vgl. Wehrt WM 2018, 1158.
  4. Anders dagegen in der zu Beginn des Jahres 2022 überarbeiteten Immobilienwertermittlungsverordnung (Immo-WertV). Nach § 27 Abs. 1 ImmoWertV kann, „soweit die Ertragsverhältnisse mit hinreichender Sicherheit aufgrund konkreter Tatsachen wesentlichen Veränderungen unterliegen oder wesentlich von den marktüblich erzielbaren Erträgen abweichen, … der Ertragswert auf der Grundlage periodisch unterschiedlicher Erträge ermittelt werden.“
  5. Zur Charakterisierung derartiger Risiken: Kleiber (Werling), Verkehrswertermittlung von Grundstücken, 9. Aufl. 2020, S. S. 3268 f.
  6. Vgl. dazu Kleiber (Werling), Verkehrswertermittlung von Grundstücken, 9. Aufl. 2020, S. S. 3201 f
  7. Zum Mietausfallwagnis vgl. Kleiber, Verkehrswertermittlung von Grundstücken, 9. Aufl. 2020, (Kleiber) S. 1812 und (Werling) S. 3202 ff.
  8. Vgl. auch Kleiber (Werling), Verkehrswertermittlung von Grundstücken, 9. Aufl. 2020, S. 3202.
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Auch auf den Tod nicht nur des einen, sondern beider Ehepartner bezogene Nießbrauchrechte können wir monetarisieren.

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